Ein Leserbrief im VCD-Mitgliedermagazin fairkehr fordert: „Lastenräder gehören nur auf die Straße.“ Anlass ist ein Beitrag von cargobike.jetzt.
Update vom 1. November 2016: Am Ende des Beitrags habe ich die aktuelle Rechtslage zur Radwegebenutzungspflicht für Cargobikes ergänzt.
Um den konkreten Inhalt meines Beitrags „Yes we can“ des Radverkehrs aus der fairkehr 3/2016 geht es in dem Leserbrief in der fairkehr (siehe Bild rechts) gar nicht. Es geht um etwas Grundsätzliches. Die Leserbrief-Schreiberin fühlt sich auf schmalen Fahrradwegen in Ostfriesland von Pedelecs und Cargobikes verunsichert.
Den Leserbrief habe ich just in dem Moment entdeckt, in dem Teile der Fahrradlobby eine heiße Diskussion über die aktuelle StVO-Novelle führen. Es geht um die Zukunft der Radwegebenutzungspflicht und letztlich um die Frage, ob separierte Radwege oder das Fahren auf der Fahrbahn besser bzw. sicherer für den Radverkehr sind. Leider neigen Vertreter beider Seiten dazu, sich verbittert aneinander abzuarbeiten. Details zur StVO-Reform gibt es in dieseem Interview mit ADFC-Rechtsreferent Roland Huhn und einen Überblick über die Debatte in der Fahrradlobby hier im e-Rad Hafen. Währenddessen hat Greenpeace die wunderbare Kampagne YoU turn the streets! gestartet und hebt die Debatte auf ein grundsätzlicheres Niveau. Mit bundesweiten Straßenbesetzungen wird für die Neuaufteilung des Straßenraums zugunsten von Rad- und Fußverkehr demonstriert. Hier schließt sich der Kreis zum Leserbrief und dem erhöhten Platzbedarf von Cargobikes, zu dem ich bereits im Interview mit der BIKE BILD gefragt wurde:
Kritiker sprechen schon von der SUVisierung der Fahrrad- und Gehwege durch Cargobikes. Zu Recht?
Cargobikes sind Downsizing. Sie ersetzen Autofahrten. Die Parallele zum SUV ist schief. Es sei denn man versteht darunter ein bequemes Transportfahrzeug. Und ja, wir brauchen dringend mehr Platz für Rad- und Fußverkehr. Cargobikes und Kinderanhänger sind nur ein besonders anschaulicher Ausdruck des steigenden Radverkehrs. Das eigentliche Problem ist der riesige Platzverbrauch durch fahrende und parkende Autos.
Natürlich hilft das der Leserbriefschreiberin in ihrem Alltag auf dem zu engen Radweg bei Begegnungen mit breiten oder langen Cargobikes kurzfristig nicht weiter. Aber es ist wichtig, diesen Zusammenhang festzuhalten. Andererseits gilt § 1 der Straßenverkehrsordnung natürlich auch uneingeschränkt für Cargobike-Fahrer:
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
Die Größe von Fahrzeugen hat im Straßenverkehr immer auch eine Auswirkung auf das eigene Fahrverhalten und das der anderen Verkehrsteilnehmer. So haben Autofahrer meist mehr Respekt vor Cargobikes und halten mehr Abstand als bei „normalen“ Fahrrädern. Viele Cargobike-Fahrer selbst fahren auf Grund ihrer Größe und wegen Kindern an Bord auch besonders umsichtig. Aber natürlich gibt es auch solche, die unbedacht oder fahrlässig mit der Größe und Masse ihrer Cargobikes andere (schwächere) Verkehrsteilnehmer gefährden. Das ist nicht akzeptabel.
Der Leserbriefschreiberin geht es jedoch nicht (primär) um unbedachtes oder fahrlässiges Verhalten von Cargobikern. Es geht um die Verschärfung der Platznot auf Radwegen durch Cargobikes allgemein. Hier sollte kurz erwähnt werden, dass die einspurigen Cargobikes oft nicht breiter als die Lenkerbreite eines „normalen“ Fahrrads sind. Trotzdem sind sie insgesamt natürlich größer und etwa um 2,50 m lang. Dreirädrige Kindertransporträder sind meist etwa 85 – 90 cm breit, das in den Bildern rechts abgebildete Rad des Cargobike-Logistikers Velogista ist knapp über einen Meter breit.
Ich persönlich und viele mir bekannte Cargobiker in Berlin sind große Anhänger des Fahrens auf der Fahrbahn statt auf dem Radweg:
- weil viele enge und ruckelige Radwege für Cargobikes eh kaum geeignet sind,
- weil Nutzungskonflikte mit anderen Radfahren und Fußgängern uns selbst am Fortkommen hindern und,
- weil Autofahrer uns tendenziell mit mehr Respekt behandeln und wir uns deswegen weniger gefährdet fühlen im Straßenverkehr als „normale“ Radfahrer.
Deswegen finde ich den Appell, dass Cargobiker wenn möglich auf der Straße fahren sollten grundsätzlich in Ordnung. Aber eben nur „wenn möglich“. Es gibt Straßen oder Verkehrssituationen, da ist es einfach nicht vertretbar oder möglich, mit dem Cargobike auf der Straße zu fahren.
Und es gibt auch unter Cargobikern weniger selbstbewusste Fahrertypen, die sich nicht trauen auf der Straße zu fahren oder denen das zu stressig ist – vor allem mit Kindern an Bord. Wir sollten froh darüber sein, dass diese Leute Fahrrad und nicht Auto fahren – genauso wie (hoffentlich auch weiterhin) die Leserbriefschreiberin. Nutzungskonflikte zwischen Cargobikern und „normalen“ Radfahren auf bestehenden unzureicheichenden Fahrradweg müssen ausgehalten werden. Wir Cargobiker haben allerdings eine besondere Pflicht, durch unser Fahrverhalten und die Wegewahl Nutzungskonflikte so gering wie möglich zu halten und „normale“ Radfahrer mit unseren größeren Fahrzeugen nicht einzuschüchtern.
Gibt es eigentlich bald eine „YoU Turn the Streets“-Kundgebung von Greenpeace auch in Ostfriesland? Vielleicht treffen sich sich dort ja die Leserbriefschreiberin und ein paar Cargobiker. Auf dass sie sich in Zukunft auch auf dem engen Radweg übereinander freuen! Bis schließlich auf gemeinsamen Druck der Radweg verbreitert oder eine Fahrradstraße eingerichtet wird – mit viel mehr Platz für noch viel mehr „normale“ Fahrräder, Pedelecs, Cargobikes, Kinderanhänger, Rollstühle undundund.
Update vom 1. November 2016:
Radwegebenutzungspflicht für Cargobikes – die Rechtslage
In der öffentlichen Facebook-Gruppe „ADFC – Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e.V.“ wurde mein Beitrag vor allem im Hinblick auf die Radwegebenutzungspflicht kommentiert (link zur Diskussion). Ich ergänze deswegen hier die relevanten Infos zur Rechtslage:
- Cargobikes haben das Recht, Radwege zu benutzen solange sie rechtlich gesehen Fahrräder sind. Dabei gelten folgende maximale Breiten: 1m bei einspurigen und 2m bei mehrspurigen Rädern (je nach Rechtsauslegung bei mehrspurigen Rädern sogar 2,55m). Siehe Unterseite Verkehrsrecht – auf der sicheren Seite des VCD-Portals Lasten auf die Räder!. In der Praxis haben wir es allerdings meist mit 85-90 cm breiten dreirädrigen Kindertransporträdern und in selteneren Fällen mit bis zu 1,05m breiten dreirädrigen Heckladern bei Logistikunternehmen zu tun.
- Bei der Radwegebenutzungspflicht gibt es eine Sonderregelung für „mehrspurige Lastenfahrräder und Fahrräder mit Anhänger“. In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VvW-StVO) heißt es in Randnummer 23 zu § 2:
Die vorgegebenen Maße für die lichte Breite [von Radwegen in den vorangehenden Randnummern bzw. in der ERA. Ergänzung: AB] beziehen sich auf ein einspuriges Fahrrad. Andere Fahrräder (vgl. Definition des Übereinkommens über den Straßenverkehr vom 8. November 1968, BGBl. 1977 II S. 809) wie mehrspurige Lastenfahrräder und Fahrräder mit Anhänger werden davon nicht erfaßt. Die Führer anderer Fahrräder sollen in der Regel dann, wenn die Benutzung des Radweges nach den Umständen des Einzelfalles unzumutbar ist, nicht beanstandet werden, wenn sie den Radweg nicht benutzen
Der ADFC-Rechstreferent Roland Huhn hat mir dazu zwei Nachfragen beantwortet:
cargobike.jetzt: Bleibt die Ausnahme von der Radwegebenutzungspflicht für mehrspurige Cargobikes und Fahrräder mit Anhänger in Randnummer 23 zu § 2 VwV-StVO von der aktuellen StVO-Reform unberührt? Oder sind da Änderungen zu erwarten?
Roland Huhn: Rand-Nr. 23 zu § 2 bezieht sich auf benutzungspflichtige Radwege. Dass es davon demnächst außerorts ein paar mehr geben könnte, ändert zunächst nichts an der Aussage der VwV.
cargobike.jetzt: Welchen rechtlichen Unterschied macht es im Falle eines Unfalls wenn das Fahren mehrspuriger Lastenräder und von Fahrrädern mit Anhänger auf der Fahrbahn in bestimmten Fällen nicht geahndet werden soll gegenüber einer expliziten Befreiung von der Radwegebenutzungsplicht in diesen Fällen?
Roland Huhn: Bei einem Unfall mit einem Radfahrer auf der Fahrbahn trotz benutzungspflichtigen Radwegs nebenan kommt es wegen eines Mitverschuldens immer auf das individuelle Verschulden an. Insofern kann die VwV nur einen Hinweis geben. Sie verwendet den unbestimmten Rechtsbegriff „unzumutbar“ und spricht von „nicht beanstanden“, was man auch als “keinen Vorwurf machen“ verstehen kann. Mit anderen Worten: je nach Einzelfall kein Mitverschulden des Fahrers eine Lastenrads oder Anhängergespanns an einer Kollision auf der Fahrbahn.
Die neue Regelung zu Radwegen außerorts bietet bei einem Rechtsstreit um die Folgen eines Zusammenstoßes auf der Fahrbahn auch neue Chancen. Bisher begründete ein Radwegschild an einem Radweg außerorts die Vermutung, dass Radfahren gerade dort besonders gefährlich sei. Dieser Schluss ist jetzt nicht mehr zulässig. Das kann die individuelle Vorwerfbarkeit des Radfahrens auf der Fahrbahn mildern.
Dieses Argument gilt unter der Annahme, die Straßenverkehrsbehörden hätten Radwege bisher immer getreu den Anforderungen der StVO beschildert. Das ist nicht so, die Behörden würden eine bewusst von der StVO abweichende Praxis aber sicherlich nicht zugeben.
Soweit also zur aktuellen Rechtslage. In der Facebook-Diskussion waren sich die meisten Teilnehmer einig in der Kritik der Radwegebenutzungspflicht. Sowohl allgemein wie speziell in Bezug auf Cargobikes: „Benutzungsrecht nicht Pflicht“ fasste ein Diskutant die Stimmung zusammen.