Am 16./17. April pilgerte die Cargobike-Welt zum alljährlichen International Cargo Bike Festival nach Nijmegen (NL). Europaletten, großes Volumen und „Containerisation“ waren wichtige Konferenzthemen. Familienmobilität spielte erst am Publikumstag eine Rolle.
[Update vom 2. August 2016: 2017 findet das International Cargo Bike Festival in Nijmegen vom 11. bis 13. Juni statt. Das ist unmittelbar vor der internationalen Fahrradkonferenz Velo-city 2017, die vom 13. bis 16. Juni in Arnhem-Nijmegen ausgerichtet wird.]
Besuch aus dem Europaparlament stand zu Beginn des Konferenztags im Kulturzentrum Vasim auf dem Programm. Michael Cramer, Vorsitzender des Verkehrsausschuss im Europaparlament zeigte in seiner Eröffnungsrede wie der Klimaschutzziele den politischen Handlungsdruck im Verkehrssektor erhöht. Ein großer politischer Erfolg sei die „Declaration on Cycling as a climate friendly Transport Mode“ der EU-Verkehrsminister vom Oktober 2015. Darin beziehen sich die Minister explizit auf die Potential-Studie des europäischen Cyclelogistics-Projekts: „more than half of all motorized cargo trips in EU cities could be shifted to bicycles“. Das betrifft Transporte bis sieben km Strecke, ein m³ Volumen und 200 kg Gewicht.
Anders als bei privaten Transporten fängt es in der Logistikbranche bei diesem Volumen und Gewicht oft erst an, dass Cargobikes eine interessante Option werden. Und zwar speziell für die City-Logistik, die effiziente Feinverteilung großer Mengen meist kleinteiliger Güter auf der innerstädtischen „letzten Meile“. Auf dem International Cargo Bike Festival gab es jetzt spannende Cargobikes und Anhänger für große und schwere Transporte zu sehen.
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Die Europalettete als Maß der Dinge?
Gleich drei aufeinander folgende Pecha Kucha-Präsentationen widmeten sich im Konferenzprogramm großen Transporten mit Cargobikes. Tom Assmann von der Universität Magdeburg beschrieb die zentrale Bedeutung der Europalette (120 x 80 cm) für die Logistkbranche und plädierte dafür, spezielle Cargobikes für den Transport von Europaletten zu entwickeln. Zur Beladung brauche es auch passende Verladerampen an Umschlagplätzen. Das von Johan Erlandson (Velove) aus Stockholm vorgestellte vierrädrige Armadillo hat bereits eine Europaletten-kompatible Ladefläche. Sie liegt über den Hinterrädern, um das Rad schmal zu halten. Markus Bergmann (Carla Cargo) aus Freiburg hat dagegen auf das Europalettenmaß zugunsten eines niedrigen Schwerpunkts verzichtet. Die Ladefläche des Schwerlast-Anhängers Carla Cargo ist auf vier hintereinander stehende 60 x 40 cm große Euroboxen zugeschnitten.
„Containerization“
Der workshop „Containerization“ knüpfte an diese Europaletten-Diskussion an. Arne Melse von DHL Express Niederlande hatte bereits im Oktober bei der European Cycle Logistics Federation Conference in San Sebastian auf die Bedeutung von standardisierten und geschlossenen Wechselbehältern für effektive Logistikketten hingewiesen. Die Diskussion darüber in Nijmegen hat Johan Erlandson (Velove) in einem lesenwerten Beitrag zusammengefasst. Schlussfolgerung:
„The use of a small container seem to have some exciting possibilities to making city logistics more efficient and to open up for shifting more goods from motor vehicles to cargo cycles. Some first traces of container use can be found at logistics operators, and the first small steps are now taken towards standardisation. As always, there is not one optimal solution for city logistics and this also goes for the use of small containers.“
Cylelogistics-Unternehmen
Bisher liegen wenig Daten über die Anzahl und die Arbeit von Cyclelogistics-Unternehmen in Europa vor. Gary Armstrong, Direktor der European Cycle Logistics Federation präsentierte deswegen erste Ergebnisse einer online-Umfrage, die bis dahin 75 Unternehmen beantwortet hatten. 54 davon sind Neugründungen seit 2010. Eine Auswertung der Umfrage wird im Mai veröffentlicht. Zum Konferenzabschluss stellten sich noch die beiden Cyclelogistics-Unternehmen Bubble Post aus Belgien und Fietskoeriers.nl aus den Niederlanden vor.
Mit viel Investorengeld im Rücken bringt das junge Start-up Bubble Post momentan viel Schwung in die City-Logistik mit Cargobikes. Bubble Post entwickelt mit Herstellern wie Evolo und The Opportunity Factory neue Cargobikes für die City-Logistik (siehe Bildergalerie oben) und nimmt bedeutende Stückzahlen ab. Felix Vanvuchelen präsentierte eine Europakarte mit 17 europäischen Städten, in denen Bubble Post bis Ende 2017 mit Partnern präsent sein möchte.
Mark Potters stellte das niederländische Unternehmen Fietskoeriers.nl vor – ein Zusammenschluss fünf klassischer Fahrradkurier-Unternehmen. Als Subunternehmer sind 15 weitere Fahrradkurier-Unternehmen dabei, insgesamt deckt Fietskoeriers.nl damit 27 niederländische Städte ab. Seit Januar 2016 wird auch eine landesweite Same Day-Zustellung angeboten und im Mai sollen kleine „City Hubs“ in Betrieb gehen, mit denen sich Fietskoeriers.nl auch als City-Logistik-Dienstleister etablieren will.
Die private Nutzung von Cargobikes spielte im Konferenzprogramm eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme war das Thema Cargobike-Sharing. Dazu wurden einige Beispiele vorgestellt, ich selbst habe einen Überblick über aktuelle Entwicklungen und Angebote im deutschsprachigen Raum gegeben.
Die privaten Nutzer*innen von Cargobikes standen nur einmal im Mittelpunkt: Grégory Delattre von I bike Strasbourg stellte seinen Bildband „Cargologie“ vor. Darin sind 17 persönliche Portraits von Cargobike-Fahrer*innen aus Straßburg enthalten und jede Menge weitere schöne Schnappschüsse aus europäischen Städten – eine tolle Hommage an alle Cargobike-Fahrer*innen!
Der Publikumstag
Am nächsten Tag trafen sich diese Cargobike-Fahrer*innen in ihrer ganzen Vielfalt auf dem Groten Markt im Herzen Nijmegens. Das international angereiste Konferenzpublikum mischte sich hier mit Cargobike-Fahrer*innen aus der Region. Vom Oldtimer, über Familienkutschen und Kurierflitzer bis zum Schwertransporter war so ziemlich alles an Cargobikes dabei. Als gemeinsame Parade ging es zurück zum Kulturzentrum Vasim, wo der Publikumstag des International Cargo Bike Festival stattfand: ein bunter Jahrmarkt rund um das Cargobike mit Gastronomie und Puppentheater auf Cargobikes und natürlich einem großen Testparcours.
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Auch zusätzliche Händler waren für den Publikumstag angereist und die Anzahl der Cargobikes für die private Nutzung war nun deutlich größer. Am Stand des niederländischen Fahrradclubs Fietsersbond bekam ich noch eine interessante Frage gestellt: Wieso denn die Wiederentdeckung von Cargobikes in Deutschland und anderen Ländern anscheinend nicht wie in den Niederlanden über die private Nutzung sondern über den Logistiksektor laufe? Das halte ich zumindest im Fall von Deutschland für eine Fehlwahrnehmung. Auch hierzulande sind Familien mit Kindern der wichtigste Treiber der Cargobike-Renaissance – selbst wenn die bisher vergleichsweise wenigen Cargobikes in der Logistikbranche oft deutlich stärker im Fokus von Medien und Konferenzen stehen.
Das relativiert aber keineswegs die wichtige Bedeutung des International Cargo Bike Festival. Dem Organisator Jos Sluijsmans ist es gelungen, der noch kleinen aber deutlich wachsenden internationalen Cargobike-Branche einen eigenen jährlichen Treffpunkt zu geben. In zehn Jahren werden wir wahrscheinlich auf die heute noch vergleichsweise familiären aber immer spannenden Treffen in Nijmegen zurückblicken.
Mehr Infos:
www.cargobikefestival.com
Das offizielle Festival-Video