Jede/r zehnte in Deutschland kann sich vorstellen, ein privates Cargobike zu kaufen. Zwei Prozent nutzen bereits ein Cargobike.
Das sind Ergebnisse des Fahrrad-Monitor Deutschland 2019, der im Oktober vom Bundesverkehrsministerium vorgestellt wurde. Alle zwei Jahre lässt das Ministerium mit einer repräsentativen Umfrage die private Fahrradnutzung in Deutschland umfassend sozialwissenschaftlich untersuchen. Das beauftragte Sinus-Institut hatte 2017 für den letzten Fahrrad-Monitor erstmalig auch Daten zur Bekanntheit und privaten Nutzung von Cargobikes erhoben (siehe Bericht auf cargobike.jetzt).
Mit dem Fahrrad-Monitor 2019 liegen nun Vergleichszahlen zu Ausmaß und Geschwindigkeit des Lastenrad-Booms in Deutschland vor. Sie basieren auf einer repräsentativen Online-Befragung im Mai/Juni 2019 von 3.053 in Deutschland lebenden Privatpersonen zwischen 14 und 69 Jahren. Den Fragen zu Cargobikes liegt folgende Definition zugrunde:
„Das Lastenrad ist ein Fahrrad, das der Beförderung von Lasten oder Kindern bis 7 Jahren dient. Je nach Einsatzzweck befindet sich der Korb/ die Kiste im Sichtfeld des Fahrenden oder im hinteren Bereich des Fahrrads. Je nach Bauweise sind diese Räder mit zwei oder mehr Rädern ausgestattet.“
Bekanntheit steigt von 38 auf 52 Prozent, zwei Prozent nutzen bereits Cargobikes
Von 2017 bis 2019 stieg die Zahl der befragten Privatpersonen, die schon mal von Cargobikes gehört haben von 38 auf 52 Prozent. Hinzu kommen zwei Prozent, die bereits ein Cargobike nutzen. 2017 waren dies nur ein Prozent aller Befragten.
Bei den befragten Erwachsenen fällt auf: Je älter die Befragten desto eher kennen sie aber desto weniger nutzen sie Cargobikes. Insgesamt liegt die Bekanntheit von Cargobikes bei Männern mit 58 Prozent deutlich höher als bei Frauen mit 45 Prozent.
Kaufpotential steigt von sieben auf zehn Prozent
Von denjenigen, die bereits von Cargobikes gehört haben können sich 20 Prozent grundsätzlich vorstellen, ein Lastenrad zu kaufen. Auf die Gesamtheit der Befragten bzw. der Bevölkerung übertragen sind das zehn Prozent. 2017 waren es noch sieben Prozent.
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Über eine halbe Millionen Kaufwillige
26 Prozent aller Befragten gaben 2019 an, in den nächsten 12 Monaten sicher oder vielleicht ein Fahrrad kaufen wollen. Davon wollen fünf Prozent (2017: 3 %) „aller Voraussicht nach“ ein Cargobike kaufen. Übertragen auf die Gesamtheit aller Befragten sind das 1,3 Prozent. Bei rund 60 Million in Deutschland lebenden 14 bis 69jährigen sind dies über 780.000 Personen mit erklärter Kaufabsicht innerhalb des nächsten Jahres!
Jede/r fünfte offen für Cargobike-Leihsystem
21 Prozent aller Befragten bzw. der Gesamtbevölkerung können sich vorstellen, ein Cargobike-Leihsystem zu nutzen. 2017 waren es erst 16 Prozent. Der Anstieg ist der inzwischen größeren Bekanntheit von Cargobikes zu verdanken. Unter der gewachsenen Anzahl derjenigen, die Cargobikes kennen liegt die Offenheit gegenüber Cargobike-Leihsystemen bei nahezu unverändert 39 Prozent (2017: 40 %).
Kindertransport, Einkommen, Autobesitz und andere Einflussfaktoren
Wie auf einigen oben dokumentierten Folien bereits zu sehen erhebt der Fahrrad-Monitor eine ganze Reihe von soziodemographischen Einflussfaktoren: Alter, Geschlecht, Wohnortgröße und die sogenannten Sinus-Milieus. An dieser Stelle möchte ich drei Einflussfaktoren hervorheben: Einkommen, Autobesitz und Kindertransport.
Einkommen vs Grundorientierung
Das Interesse an Cargobikes hängt nicht erkennbar von der Höhe des Einkommens aber ganz stark davon ab, ob jemand eher traditionell oder eher entdeckungsfreudig eingestellt ist. Entsprechend sind neben der „ambitionierten kreativen Avantgarde“ (Expeditive) auch die „spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mittelschicht“ (Hedonisten) diejenigen Sinus-Mileus, die am stärksten an Cargobikes interessiert sind.
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Wenn es um die Realisierung einer Kaufabsicht geht dürfte die Einkommenshöhe allerdings zum wichtigen Faktor werden. Gerade für das Sinus-Milieu der Hedonisten aus der Unterschicht und der unteren Mittelschicht dürfte Kaufprämien-Überblick deswegen ein wichtiges Förderinstrument sein.
Autos vs Cargobikes
Das wichtigste Argument gegen die Anschaffung eines Cargobikes (60%) ist das eigene Auto! Erst mit weitem Abstand folgen zu sperrig und unhandlich (34 %), keine Abstellmöglichkeit (28 %), Skepsis gegenüber Personentransport (27%) und zu teuer (24%).
Interessant ist der Vergleich zu 2017: Während das eigene Auto als Gegenargument wichtiger geworden ist (Anstieg von 56 auf 60%) haben alle anderen Argumente gegen die Anschaffung eines eigenen Cargobikes an Bedeutung verloren. Gehen der Autofraktion die Argumente aus?
Personen- bzw. Kindertransport
Besonders stark zurückgegangen ist bei den Argumenten gegen Cargobikes (siehe oben) die Skepsis gegenüber dem Personen- bzw. Kindertransport: Sie sank von 43 auf 27 Prozent. Jedoch: Von 70 befragten Cargobike-Nutzenden und 314 Kaufinteressent*innen gaben nur 27 bzw. 28 Prozent Kindertransport als Nutzungsmotivation an. Einkäufe und der „Transport sperriger Gegenstände“ schnitten erheblich besser ab. Ob viele der Kindertransporträder, die täglich in Berlin meine Wege kreuzen heimliche Möbeltransporter sind?
Insgesamt transportieren nur 17 Prozent aller Radfahrenden Kinder auf dem Fahrrad. Davon nutzen 20 Prozent ein Cargobike, 43 Prozent einen Anhänger und 46 Prozent einen Kindersitz.
Welche Rolle spielt die offensichtlich zurückhaltende Einstellung zum Kinder- bzw. Personentransport auf Fahrrädern für die Verkehrswende? Ich denke ein sehr wichtige! Das Sicherheitsempfinden junger Eltern bei der Verkehrsmittelwahl ist nicht zu unterschätzen. Hier liegt die große Chance von Lastenrädern für die Verkehrswende: Sie haben das Potential, zukünftig dasselbe Gefühl von Sicherheit beim Kindertransport zu vermitteln wie heute die Autoindustrie. Wenn Neugeborene und ihre Mütter nach der Entbindung ganz selbstverständlich in einem wettergeschützten und komfortabel gefederten Cargobike vom nahegelegenen Krankenhaus nach Hause gefahren werden – dann hat die Verkehrswende gewonnen!
Bereits jetzt überfällig ist die Neuregelung des Personentransport auf Fahrrädern in der StVO. Die Auffassung des Bundesverkehrsministerium, dass nur Kinder bis zum 7. Geburtstag auf Fahrrädern oder Anhängern mitgenommen werden dürfen hinkt dem Stand der Technik und dem Potential des Fahrrads für den Personentransport in einer alternden Gesellschaft hoffnungslos hinterher. Statt des Alters müssen allein altersangemessene sichere Sitze und Tragkraft des Fahrrads ausschlaggebend für die Zulässigkeit von Personentransport sein.
Politische Empfehlungen sind jedoch nicht Bestandteil des Fahrrad-Monitors. Wohl aber die Frage, für wie fahrradfreundlich die Bundesregierung gehalten wird. Das Ergebnis sieht nicht gut aus für die Bundesregierung und ihren selbsternannten „Fahrradminister“: 2017 erhielt die Bundesregierung von 52 Prozent der Befragten die Schulnoten 1 bis 3. Im Fahrrad-Monitor 2019 nur noch von 42 Prozent. Eine deutliche Mehrheit von 58 Prozent gibt der Bundesregierung eine 4 bis 6 und hält sie nicht für fahrradfreundlich.
Der Beitrag entstand im Rahmen des EU-geförderten Projekts City Changer Cargo Bike und wird in abgewandelter Form auf dessen englischsprachiger Newsseite erscheinen. cargobike.jetzt ist Projektpartner und Mitglied im Advisory Board von City Changer Cargo Bike.