Spitzenpolitiker:innen streiten im Bundestagswahlkampf über Lastenräder. Was ist passiert? Sind Lastenräder wahlentscheidend?
Natürlich nicht! Beziehungsweise doch. Beim Streit um die Verkehrswende und die Reduktion des Autoverkehrs gehen in Deutschland die Emotionen hoch. Und Lastenräder sind ein besonders auffälliges Symbol für die Verkehrswende. Deswegen kein Wunder, dass Lastenräder jetzt im Bundestagswahlkampf für alle Seiten zum Wahlkampfhit wurden.
Am gestrigen Sonntag veröffentlichte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) den Beitrag „Grüne fordern eine Milliarde Euro für Lastenräder“. Darin begründet der grüne Verkehrspolitiker Sven-Christian Kindler eine bereits 2018 aufgestellte Forderung der grünen Bundestagsfraktion: Bundesweit 1.000 Euro Kaufprämie auch für private Lastenräder und ein Fördervolumen von einer Milliarde Euro über vier Jahre.
„Saubere Mobilität gibt es nicht zum Nulltarif […]. Lastenrädern, insbesondere wenn sie mit E-Motor ausgestattet sind, kommen in der Verkehrswende eine wesentliche Bedeutung zu. Doch Andreas Scheuer kümmerte sich in seiner Amtszeit viel lieber um das Mautdesaster, das Chaos bei der Autobahn GmbH und den Bau von bayerischen Straßen. Viele Handwerkerinnen und Kleinunternehmer könnten ihre Dienstleistungen und Fahrten auch mit E-Lastenrädern anbieten, aber für sie gibt es zu wenig Fördermittel. Gleiches gilt für Leihsysteme für E-Lastenräder. Auch Familien, die sich ein Lastenrad anschaffen wollen, lässt Scheuer seit dreieinhalb Jahren im Regen stehen. Eine neue Bundesregierung muss ab dem Herbst endlich Geld für die Verkehrswende in die Hand nehmen.”
MdB Sven-Christian Kindler gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
Klar, dass der politische Gegner das im Bundestagswahlkampf nicht unwidersprochen stehen lässt. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiack holt auf Twitter zum populistischen Gegenangriff aus – wahrscheinlich ohne zu wissen, dass die eigene Bundesregierung bis zu 2.500 Euro Kaufprämie für gewerbliche E-Lastenräder zahlt.
„Juhu, eine Debatte!“, freut sich die Presse. Für einen Beitrag in der konservativen Welt äußerten sich noch am Sonntag:
- der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Ulrich Lange (CSU): „Der Vorschlag der Grünen bedient die eigene großstädtische Klientel, deren Lebensart von anderen großzügig subventioniert werden soll.“
- der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion (FDP): „Die Grünen wollen auch für Besserverdiener Subventionen ausweiten, das ist teure grüne Klientelpolitik zulasten von Geringverdienern.“
- die Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed: „Wer glaubt, mit einer staatlichen Förderung von Lastenfahrrädern die Verkehrswende einleiten zu können, der befindet sich auf dem Holzweg.“
Prompt wurde auch die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (fährt selber Lastenrad) befragt. Der Berliner Tagesspiegel berichtet:
„Eine Förderung für Lastenräder halte ich für sehr richtig“, sagte sie am Sonntag im Online-Programm von Tagesschau24 nach der Aufzeichnung des ARD-Sommerinterviews. „Unser Vorschlag sind 1000 Euro.“ Es solle keine „absolute Ungleichheit“ geben zu einer Förderung von 6000 Euros für Elektroautos. Damit könnten auch Menschen, die keinen Führerschein hätten oder nicht Auto fahren wollten oder könnten, zum Beispiel ihre Einkäufe nach Hause bringen.
Der Tagesspiegel: „Kritik an Grünen-Vorstoß: Baerbock für 1000 Euro Zuschuss für Lastenfahrräder“
Damit sind Lastenräder auf der großen politischen Bühne des Bundestagswahlkampfs angekommen. Ob CDU und FDP ein Interesse daran haben, Lastenräder weiter ins Lächerliche zu ziehen und als Gefährte grüner Besserverdienender zu dissen?
Immerhin hat das schwarz-gelb regierte Nordrhein-Westfalen unter CDU-Kanzlerkandidat Laschet bereits 2018 eine sehr erfolgreiche Kaufprämie für E-Lastenräder eingeführt. (Seit April 2020 gilt sie jedoch nur noch für gewerblich genutzte Modelle.) Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat immer wieder prominent die Potenziale von Lastenrädern im Wirtschaftsverkehr beworben.
Aus Münster meldete sich auch einer von Ziemiacks Vorgängern im Amt des CDU-Generalsekretärs zu Wort. Ruprecht Polenz äußerte auf Twitter Unterstützung für eine Lastenrad-Kaufprämie:
Und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) reklamiert die Entdeckung des Cargobikes gleich für sich:
Die Bundestagswahl kann aus Cargobike-Sicht also noch spannend werden! Und wenn es am Ende ganz eng wird – vielleicht wird die Lastenradförderung (bitte auch in Form von Cargobike-Sharing!) ja doch noch wahlentscheidend. Aber wie gesagt: Es geht in der Debatte nur zum kleinen Teil um das Lastenrad selbst, es geht um das Lastenrad als Symbol der Verkehrswende.
By the way, im Straßenwahlkampf sind Lastenräder auch für viele Politiker:innen bereits unerlässlich – nicht nur bei den Grünen.
Editorische Notiz: Autor Arne Behrensen hat 2012/13 für die damalige grüne Bundestags- und heutige Europaabgeordnete Viola von Cramon gearbeitet. Diese bestreitet ihre Wahlkampftermine zumeist per S-Pedelec-Cargobike und Bahn – und zwar nicht in Berlin oder München sondern im ländlichen Harz!
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung des Projektes CityChangerCargoBike. Das Projekt wurde mit Mitteln aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 769086 finanziert.