Beste Cargobike-Kritiken 2019 | Teil 3: „Kulturkampf gegen das Auto“

Lastenrad auf Autowrack
Bei Sonnenschein ist Kulturkampf am schönsten.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Müller-Rosentritt wettert gegen eine Cargobike-Kaufprämie in Chemnitz und erhält Unterstützung von rechtsaußen. Kein Einzelfall!

Das Cargobike ist ein Symbol der Verkehrswende. Dafür wird es auf cargobike.jetzt gefeiert. Doch das Cargobike wäre ein schlechtes Symbol wenn es keine Kritik provozieren würde – von bissigen Polemiken bis zu plumper politisch-ideologischer Ablehnung. In einer vierteiligen Serie präsentiere und kommentiere ich bemerkenswerte Cargobike-Kritiken aus dem Jahr 2019.

Teil 3: Kulturkampf gegen das Auto

Am stimmte der Chemnitzer Stadtrat für die Einführung einer Cargobike-Kaufprämie. Im Juni 2020 soll die Stadtverwaltung ein Konzept für die kommunale Kaufprämie vorlegen. Die Freie Presse berichtete über die Debatte:

Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ist Stadtrat Frank Müller-Rosentritt (FDP) viel im Ausland unterwegs. Überall würden es die Menschen als Fortschritt ansehen, wenn sie vom Fahrrad aufs Moped, Motorrad und schließlich Auto umsteigen könnten, sagte er in der Stadtratssitzung am Mittwochabend und zeigte sich verwundert über einen Beschlussantrag der Fraktionsgemeinschaften Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke/Die Partei. Denn damit sollte die Stadtverwaltung beauftragt werden, ein „Konzept für ein Förderprogramm und Maßnahmenpaket“ vorzulegen, mit dem Einwohnern der Umstieg vom Pkw auf Lastenfahrräder mit und ohne Elektroantrieb erleichtert werden soll. […]

Müller-Rosentritt sieht darin jedoch eine einseitige Bevorzugung einer Antriebsart im „Kulturkampf gegen das Auto“. Er wolle sich von der Politik nicht vorschreiben lassen, womit er sich in der Stadt zu bewegen hat. Unterstützung erhielt der Liberale aus den Reihen ganz rechts im Stadtverordnetensaal. Die vorgeschlagene Förderung sei Geldverschwendung, sagte Nico Köhler (AfD), Robert Andres (Pro Chemnitz) nannte Lastenfahrräder „eher Rückschritt als Fortschritt“.

[Zum vollständigen Beitrag]

Cargobikes als Fortschritt oder Rückschritt?

Das Auto ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein vermeintlicher Fortschritt in Rückschritt umschlägt: Weil das Freiheits- und Mobilitätsversprechen des Autos regelmäßig im Stau endet, weil Autoverkehr die Bewegungsfreiheit von Kindern und Alten massiv einschränkt und, weil speziell die deutsche Autoindustrie die globale Klimakatastrophe massiv anheizt und das Überleben der Menschheit auf’s Spiel setzt.

Fraglich ist, ob der weitgereiste Frank Müller-Rosenritt moderne Cargobikes überhaupt kennt. Wahrscheinlich hat er auch nicht mitbekommen, dass in Hamburg, Köln, Wien und anderen „fortschrittlichen“ Metropolen Kaufprämien-Überblick sich allergrößter Beliebtheit erfreuen. Welcher besorgte Bürger fährt mal mit Cargobike bei Müller-Rosenritts Bürgersprechstunde im Chemnitzer Wahlkreisbüro vor und bietet eine Probefahrt an?

Bereits Karl Marx wusste vom „Rad der Geschichte“ zu berichten. Foto © Jens Besser / www.instagram.com/cargobikemuralist/

Leider ist jedoch zu befürchten, dass für Müller-Rosentritt eine Probefahrt weniger Bedeutung haben würde als die verkehrspolitische Marschrichtung seines Parteivorsitzenden.

Die FDP auf verkehrspolitischer Geisterfahrt nach rechts

Die Kritik am „Kulturkampf gegen das Auto“ ist ein Lieblingsthema von FDP-Chef Christian Lindner. Dahinter steckt eine politische Strategie, über die Thomas-Götz Richter kürzlich hier im Berliner Tagesspiegel schrieb:

Dabei hat Lindner recht, um das Auto ist ein „Kulturkampf entbrannt“. Allerdings ist er in der Hoffnung, auf diese Weise Wählerstimmen zu erheischen, selbst zur treibenden Kraft dieses Kampfes geworden. […] Der „Kulturkampf“, den Lindner kasteit, dreht sich im Verkehrsbereich um die Rückgewinnung des öffentlichen Raums und um die Beruhigung der Städte. Dieser Kampf ist aber – inklusive des Wandels zu E-Autos – ein Kampf für (und nicht contra) die liberale Modernität. […] Die Fetischisierung des Autos gibt der Partei indes ein gruftiges Erscheinungsbild.

Leider gibt es wenige prominente verkehrspolitische Gegenstimmen in der FDP. Dazu gehört unter anderem Michael Obert, der als langjähriger Karlsruher Baubürgermeister eine engagierte Radverkehrsförderung betrieb. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg forderte er 2016 von der Bundesregierung auch eine Cargobike-Kaufprämie:

Nicht nur Elektroautos, auch der Erwerb von bis zu 300.000 Pedelec-Lastenfahrrädern und Pedelecs soll mit 1.000 Euro pro Rad gefördert werden.

Cargobike Roadshow 2016 in Karlsruhe. FDP-Baubürgermeister Michael Obert (mittig im Hintergrund) eröffnete das Testfahren.

2018 ging Michael Obert in Rente.

Im Bundestag stimmte die AFD am 17. Januar 2020 einem FDP-Antrag zu, der sich gegen Radverkehrsförderung zu Lasten des Autos richtet. Die Unterstützung von Rechtsaußen für die Cargobike-Kritik des FDP-Bundestagsabgeordneten Müller-Rosentritt im Chemnitzer Stadtrat ist also kein Einzelfall. Sie steht leider symptomatisch für den aktuellen verkehrspolitischen Kurs der FDP.

Sehr geehrter Herr Obert, wollen Sie nicht nochmal parteipolitisch aktiv werden und ihre FDP vor der verkehrspolitischen Geisterfahrt nach rechts bewahren?


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