Lastenräder erleben aktuell eine große Renaissance, sowohl im privaten wie im gewerblichen Bereich. Über die Hintergründe und Herausforderungen haben wir mit Burkhard Stork, dem Geschäftsführer des Verbands ZIV – Die Fahrradindustrie, gesprochen.
Herr Stork, vorweg: Der ZIV engagiert sich seit Jahren auch finanziell für den Kaufprämien-Überblick von cargobike.jetzt für Deutschland und Österreich. Warum sind Förderungen wichtig?
Der Überblick zu den Kaufprämien ist wichtig, das Engagement und die Arbeit von cargobike.jetzt sollte entsprechend gewürdigt und unterstützt werden. Inhaltlich ist es bedeutend zu wissen, dass finanzielle Anreize zum Kauf von Lastenrädern einen wichtigen Ausgleich schaffen zur Förderung andere Fahrzeuge, zum Beispiel über die niedrige Dienstwagenbesteuerung oder die Kaufprämien für Elektroautos. In Deutschland werden nach wie vor Milliarden für klimaschädliche Subventionen ausgegeben. Es geht also nicht um eine Sonderbehandlung, sondern um Chancengleichheit und Förderung von bezahlbarer, gesunder, umwelt- und klimafreundlicher Mobilität – das sieht übrigens auch die EU so. Und da sich der Cargobike-Markt, insbesondere für die gewerbliche Nutzung, noch in der Anfangsphase befindet, und die Anschaffungskosten relativ hoch sind, können Förderungen hier ein wichtiger Hebel sein, um den Umstieg auf nachhaltige Mobilität zu fördern.
Im Sinne der Klimaziele und der Chancengleichheit
Aktuell wird aufgrund der schwierigen Haushaltslage in der Bundesregierung darüber diskutiert, wie es mit Fördermitteln weitergeht. Mittelbewilligungen für professionelle Schwerlasträder wurden gerade ausgesetzt. Wie sehen Sie das?
Unternehmen und Gewerbetreibende, die ihre Verantwortung mit Blick auf die beschlossenen Klimaziele ernst nehmen, brauchen sichere Rahmenbedingungen und Planungssicherheit. Bei der Überlegung über eine Anschaffung bzw. über die Umgestaltung der Flotte spielen diese Fördermittel eine wichtige Rolle. Ich kann mir vorstellen, dass viele Gewerbetreibende ihre Überlegungen nun erst einmal auf Eis gelegt haben, solange unklar ist, ob es künftig noch eine Förderung geben wird oder nicht. Aber auch die Unternehmen, die die Lastenräder produzieren brauchen Planungssicherheit: Was muss ein Produzent an Material bestellen, welche finanziellen Mittel, welche Flächen und wie viele Mitarbeitende werden benötigt? Das alles sind Investitionen, die weit im Voraus geplant werden müssen und die von der erwarteten Nachfrage abhängen. Wenn hier völlig unvermittelt Mittel zusammengestrichen werden, dann stellt das alle Beteiligten, vom Produzenten bis zum Nutzer, vor enorme Probleme und auch das politische Signal, das davon ausgeht, ist verheerend.
Was sehen Sie als die größte Herausforderung für Produzenten und Nutzer:innen?
Auch wenn wir die mittel- und langfristigen Aussichten nach wie vor positiv sehen: Aktuell befindet sich die Fahrradbranche, oder genauer, das gesamte Ecosystem Fahrrad, in schwierigen Zeiten angesichts der Kaufzurückhaltung vieler Verbraucher:innen und zahlreicher weiterer belastender Faktoren, wie gestiegenen Energiekosten und Zinsen, Mangel an Fachkräften etc. Das Auto weiterhin durch die Politik zu bevorzugen, hilft weder den Nutzer: innen, noch der Industrie.
Die rasante Entwicklung des Lastenrad-Markts
Lastenräder haben bei den Verkäufen in den letzten Jahren deutlich zugelegt. Was sind die Gründe?
Ausschlaggebend ist insbesondere die Motorunterstützung, die eine Nutzung nicht nur angenehmer, sondern in vielen Fällen überhaupt erst möglich macht. Auch stetige technische Verbesserungen mit Blick auf die Sicherheit, den Nutzwert und den Komfort tragen dazu bei, dass Lastenräder heute vorurteilslos und sehr gerne genutzt werden. Bei den Marktdaten, die wir jedes Jahr detailliert erheben, sehen wir seit Jahren einen sehr deutlichen Aufschwung. Im Jahr 2018 verzeichneten wir über 60.000 verkaufte Lastenräder, im Jahr 2021 waren es bereits rund 170.000 und 2022 betrug die Summe über 210.000, was einem Zuwachs von rund 30 Prozent zum Vorjahr entspricht.
Wie geht es mit dem Lastenrad-Markt aus Ihrer Sicht weiter?
Wir rechnen mittel- und langfristig mit einem weiteren stabilen Wachstum bei Cargobikes. Lastenräder – und nicht zu vergessen auch Fahrräder oder E-Bikes mit und ohne Anhänger – sind eine zunehmend sinnvolle und attraktive Alternative zum Pkw und zum öffentlichen Nahverkehr. Wenn wir uns die großen Entwicklungen anschauen, dann stellen wir fest, dass sowohl Mieten wie auch Kosten für Energie oder Parkplätze aller Voraussicht nach eher steigen als fallen werden. Eng damit verknüpft sind auch die Ziele klimafreundlicher zu werden, gesünder zu leben und Städte lebenswerter, resilienter und autoärmer zu gestalten. Das lässt sich bei unseren europäischen Nachbarn sehr gut beobachten. Alles zusammen genommen wird schnell klar, dass Fahrräder insgesamt, aber insbesondere auch Cargobikes und nicht zu vergessen auch Fahrradanhänger, weiter an Attraktivität gewinnen werden.
Die Aufgaben des ZIV
Wie sehen Sie die Rolle der Fahrradindustrie und ihres Verbandes ZIV bei Lastenrädern?
Die ZIV-Mitgliedsunternehmen repräsentieren über 90 Prozent der hierzulande verkauften Fahrräder und E-Bikes, wobei wir hier nicht von Rädern für die gewerbliche Nutzung sprechen. Die allermeisten Fahrrad- und E-Bike-Produzenten haben selbstverständlich auch Cargobikes im Programm. Was die Produkte angeht, kümmern wir uns vor allem um die Sicherheit mit Blick auf die Technik, Materialien, aber auch Fahrsicherheit und allgemein Sicherheit im Straßenverkehr. Dazu sind wir mit den Herstellern im engen Austausch, und mit allen relevanten Verbänden und Institutionen in Deutschland und der Europäischen Union. Neben ausgereiften und sicheren Produkten brauchen wir außerdem natürlich auch eine gute Infrastruktur und attraktive politische wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen für alle Radfahrenden für das Thema Fahrrad. Auch dafür setzen wir uns stetig und nachdrücklich ein.
Fotos: Dirk Michael Deckbar