Fahrradmonitor 2017: Großes Potential für Cargobikes

Sieben Prozent aller Deutschen können sich vorstellen ein Cargobike zu kaufen, 16 Prozent ein Cargobike-Leihsystem zu nutzen. Erst ein Prozent der Radfahrenden nutzt bereits ein Cargobike.

Das sind Teilergebnisse des Fahrradmonitor 2017 des Markt- und Sozialforschungsinstituts Sinus. Der Fahrradmonitor untersucht alle zwei Jahre die Fahrradnutzung in Deutschland. Auftraggeber ist das Bundesverkehrsministerium. Der Fahrradmonitor 2017 (link) basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung im Juni mit 3.156 Befragten zwischen 14 und 69 Jahren. Über die Jahre hinweg zeigt der Fahrradmonitor eine steigende Beliebtheit des Fahrrads und eine steigende Fahrradnutzung in Deutschland. Den Auftraggeber Bundesregierung halten laut Fahrradmonitor 2017 allerdings nur 13 Prozent der Befragten für fahrradfreundlich. Mehr dazu in dieser Pressemitteilung des ADFC.

Per Klick zur 164seitigen Studie.

Die Teilergebnisse des Fahrradmonitor 2017 zur Cargobike-Nutzung dürften die erste solche repräsentative Erhebung in Deutschland sein. Bisher gab es an relevanten Zahlen zur Cargobike-Verbreitung nur die jährliche Marktanalyse des Zweirad-Industrie-Verband und (speziell zum Wirtschaftsverkehr) die DLR-Studie WIV-Rad

Zahlen zur Cargobike-Nutzung in Deutschland

  • Auf die Frage „Welchen Typ von Fahrrad beziehungsweise welche Typen von Fahrrädern nutzen Sie persönlich?“ gaben von den Radfahrenden (2440 von 3156 Befragten) ein Prozent die Antwort-Option „Lastenrad“ an.
  • 29 Prozent aller Befragten gaben an, in den nächsten zwölf Monaten ganz sicher oder vielleicht ein neues Fahrrad kaufen zu wollen. Von diesen gaben wiederum drei Prozent (entspricht 0,9 % aller Befragten) an, „aller Voraussicht nach“ ein Lastenrad kaufen zu wollen.
  • Die Frage „Haben Sie schon einmal von Lastenrädern gehört?“ beantworteten 38 Prozent aller Befragten mit Ja. Zusammen mit einem Prozent bestehender Lastenradnutzer liegt der Bekanntheitsgrad von Lastenrädern damit bei 39 Prozent. Bei Männern ist der Bekanntheitsgrad höher (46 %) als bei Frauen (32 %) und mit zunehmendem Alter nimmt der Bekanntheitsgrad kontinuierlich zu: von 22 Prozent  bei den 14-19jährigen bis 46 Prozent bei den 60-69jährigen.
  • Sinus-Milieu der Hedonisten („spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mitte“) oder Expeditiven („ambitionierte kreative Avantgard“)?

    Von den 39 Prozent, denen Lastenräder bekannt sind können sich 19 Prozent  vorstellen, ein Lastenrad anzuschaffen (entspricht 7 % aller Befragten). Der Anteil ist bei Frauen (22 %) höher als bei Männern (18 %). Bei den Alterskohorten liegen die 30-39 jährigen (27 %) und die 20-29jährigen (25 %) deutlich vorne. Auch niedrige vs höhere Bildung (14 vs 24 %) und Ortsgröße (< 20.000 Einwohner -> 11 %, > 500.000 -> 22 % ) spielen eine Rolle für den Anteil der Kaufinteressierten unter denjenigen, denen Lastenräder bekannt sind. Die Zuordnung der Kaufinteressierten zu zehn soziokulturellen Sinus-Milieus ergibt ein überdurchschnittliches Interesse in den Mileus der Hedonisten („Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mitte“, 30 %), der Liberal-Intellektuellen („Die aufgeklärte Bildungselite“, 26 %) und der Expeditiven („Die ambitionierte kreative Avantgarde“, 26 %). Daraus ergibt sich kein eindeutiger Einfluss des Einkommensniveaus auf das Kaufinteresse. Offenheit für Neuorientierung ist dagegen ein deutlicher Einflussfaktor. Überraschend finde ich: Nur knapp über dem Durchschnitt beim Anteil der Kaufinteressierten liegen die Sozialökologischen („Das engagierte gesellschaftskritische Milieu“, 21 %) während die Traditionellen („Die Sicherheit und Ordnung liebende ältere Generation“, 19 %) nur knapp dahinter genau im Durchschnitt liegen.

  • Performer („effizienzorientierte Leistungselite“) oder Adaptiv Pragmatische („moderne junge Mitte“)?

    Zum geplanten Nutzungszweck äußerten sich 234 potentielle Lastenrad-Nutzer. Ganz vorne liegen der Transport von Einkäufen (91 %) und sperrigen Gegenständen (60 %). Erst danach folgen der Transport von Personen (30 %), von Tieren (18 %) und die gewerbliche/berufliche Nutzung (9 %). Auch bei den 26 befragten Lastenrad-Nutzern ergibt sich ein nur leicht anderes Bild (Einkäufe 81%, sperrige Güter 38 %, Personen und Tiere jeweils 27 %, beruflich/gewerblich 15 %).

  • Gehören Herrchen oder Frauchen zum Sinus-Milieu der Liberalen Intellektuellen („aufgeklärte Bildungselite“) oder den Prekären („um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht“)?

    Die Frage „Könnten Sie sich vorstellen ein Leihsystem für Lastenräder zu nutzen?“ bejahten 40 Prozent derjenigen, die Lastenräder kennen oder bereits ein Lastenrad nutzen. Das entspricht 16 Prozent aller Befragten (40 % von 39 %). Wie bei den Kaufinteressierten liegen auch hier die Frauen vor den Männern (41 vs 38 %). Allerdings sind die an Leihangeboten Interessierten  jünger als die Kaufinteressierten. Führende Alterskohorte sind die 20-29jährigen (53 %) vor den 30-39jährigen (48 %) und den 14-19jährigen (47 %). Bei den soziokulturellen Sinus-Mileus gibt es bei Leihangeboten im Vergleich zum Kaufinteresse nochmal eine deutlichere Abhängigkeit von der grundsätzlichen Bereitschaft zur Neuorientierung: Vorne liegen die Expeditiven (58 %) und die Hedonisten (56 %) gefolgt von den Performern („Die effizienzorientierte Leistungselite, 45 %) während die etwas weniger  an Neuorientierung interessierten Liberal-Intellektuellen (39 %) in den Durchschnitt abrutschen und die Traditionellen (25 %) das Schlusslicht bilden.

Es folgen im Fahrradmonitor 2017 noch Folien mit „Statements von Lastenradnutzenden oder -interessenten“ und „Statements von Personen ohne Interesse an Lastenrädern“ sowie „Gründe gegen Lastenräder im Stadt-Land-Vergleich. Diese packe ich gemeinsam mit Folien, die die soziokulturellen Sinus-Mileus beschreiben in die folgende Bildergalerie:

 

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Fragen an die Studienautoren

Bei mir selbst warfen die Fragestellungen und die Ergebnisse einige Verständnisfragen auf. Die Sinus-Mitarbeiterin und Co-Autorin des Fahrradmonitors Franziska Jurczok hat sie per Email beantwortet:

  • Wurde in der Befragung spezifiziert, welche Fahrradtypen mit dem Begriff Lastenrad gemeint sind?

Folgende Definition wurde den Befragten angezeigt: „Das Lastenrad ist ein Fahrrad, das der Beförderung von Lasten oder Personen dient. Je nach Einsatzzweck befindet sich der Korb/die Kiste im Sichtfeld des Fahrenden oder im hinteren Bereich des Fahrrads. Je nach Bauweise sind diese Räder mit zwei oder drei Rädern ausgestattet.

  • Hedonisten, Sozialökolgische („engagiert gesellschaftskritisches Milieu“) oder Expeditive? Auf jeden Fall mit E-Antrieb und Kindertransport.

    Spielte die Option Pedelec-Antrieb bei Lastenrädern in der Befragung eine Rolle?

Dies war noch kein Teil der Befragung. Wir werden diesen Punkt allerdings gern bei der Erstellung des Fragebogens für das Jahr 2019 berücksichtigen.

  • Wieso wurde bei den Nutzungszwecken nach „Transport von Personen“ und nicht speziell nach „Transport von Kindern“ gefragt?

Die Antwortkategorie war wie folgt formuliert „Transport von Personen, z.B. Kindern“

  • Was gab den Anlass, Fragen zum Thema Lastenrad aufzunehmen und soll dies im nächsten Fahrradmonitor wiederholt werden?

In Abstimmung mit dem BMVI haben wir uns dieses Jahr bewusst dafür entschieden, die Themen Lastenräder, Pedelecs und Mieträder auszubauen, da wir erwarten, dass diese Innovationen in Zukunft noch erheblich an Bedeutung gewinnen werden und wir bereits jetzt die Basis für spätere Zeitreihen legen wollen.

  • Haben Sie Rückmeldungen speziell zu den Ergebnissen in Bezug auf Lastenräder erhalten?

Bisher haben wir vor allem zum Thema Pedelecs positive Rückmeldungen bekommen. Zum Thema Lastenräder detailliert noch nicht.

Resümee

Endlich gibt es eine erste repräsentative Studie zur Cargobike-Nutzung in Deutschland! Wie viele Unternehmen, Politiker, Planer und Journalisten haben in den letzten Jahren immer wieder nach belastbarem Zahlenmaterial gefragt und wenig zufriedenstellende Antworten erhalten? Jetzt können sie sich auf die Zahlen des Fahrradmonitor 2017 beziehen und dann im Fahrradmonitor 2019 sicherlich eine ordentliche Steigerung feststellen.

Das eCargobike der Traditionellen („Sicherheit und Ordnung liebende ältere Generation“)?

Dass zukünftig der Aspekt Pedelec-Antrieb bei Cargobikes mitbedacht werden soll ist ein gutes Zeichen. Eine Verfeinerung der Fragestellung in Bezug auf unterschiedliche Cargobike-Modelltypen wäre natürlich auch schön. Bisher bleibt den Befragten selbst überlassen, ob sie ein Fahrrad mit großem Korb am Lenker oder ein Senioren-Dreirad als Lastenrad werten oder nicht.

Sehr interessant sind die Aufschlüsselung der Ergebnisse nach Geschlecht, Alter und Mileus und die Antworten auf die Nutzungszwecke. Daraus ergeben sich viele weitere Fragen: Wieso spielt für die Befragten der Kindertransport im Vergleich zum Transport von Einkäufen und sperrigen Gegenständen eine so geringe Rolle? Wieso schneidet die gewerbliche/berufliche Nutzung so schlecht ab? Wieso geben viel mehr Männer als Frauen und viel mehr Ältere als Jüngere an, Lastenräder zu kennen? Wieso sind mehr Frauen als Männer am Kauf und an Leihangeboten interessiert? Ist nicht nur das Kaufinteresse, sondern auch der Kauf selbst kaum abhängig von der Höhe des Einkommens? Welches sind die besten Cargobike-Marketingstrategien und -Förderprogramme für die verschiedenen soziokulturellen Milieus? Und jeweils unterschieden nach Stadt und Land?: Erhöhung der Bekanntheit, Testmöglichkeiten, bessere Infrastruktur, bessere/günstigere Cargobikes, Kaufprämien, Leihangebote? Viele spannende Fragen also für weitere Umfragen und Forschungsarbeiten.

Für jedes Milieu das passende Cargobike?

Am eindrucksvollsten unter den Ergebnissen finde ich die Anzahl potentieller Cargobike-Käufer von sieben Prozent aller Befragten. Geht man allein von den 0,9 Prozent derjenigen aus, die angaben, aller Voraussicht nach in den nächsten zwölf Monaten ein Cargobike kaufen zu wollen: Das ergäbe umgerechnet auf alle 14-69jährigen in Deutschland über 500.000 verkaufte Cargobikes in einem Jahr. Wenn sich davon auch nur ein Fünftel realisieren ließe wäre das vermutlich schon eine grandioses Marktwachstum – je nachdem allerdings welche Fahrradtypen überhaupt als Cargobikes gezählt werden und welche nicht.


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