Die Fahrradakademie lud zum Parlamentarischen Abend „Lastenräder als Alternative für die letzte Meile?“ in Berlin – 90 Gäste und 17 Cargobikes waren dabei.
Parlamentarische Abende sind ein beliebtes Format, mit dem sich Institutionen und Unternehmen im politischen Berlin präsentieren und Agenda-Setting betreiben. Auch die Fahrradakademie als zentrale deutsche Fortbildungsinstanz der Radverkehrsförderung richtet jedes Jahr einen Parlamentarischen Abend aus. Sie ist am Deutschen Institut für Urbanistik angesiedelt und wird aus Mitteln des Nationalen Radverkehrsplan (NRVP) vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) gefördert.
Am 28. September lud die Fahrradakademie erneut zum Parlamentarischen Abend am repräsentativen Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte. Thema: „Städtischer Lieferverkehr am Limit – Lastenräder als Alternative für die letzte Meile?“ Kein wirklich klasssisches Thema der Radverkehrsförderung, die traditionell den Personenverkehr im Fokus hat.
Im Fortbildungsprogramm der Fahrradakademie hatte ich im Juni ein Webinar zu Cargobikes im Wirtschaftsverkehr gehalten. Für den parlamentarischen Abend war ich beauftragt, eine kleine Produktschau zu organisieren. So standen vor Veranstaltungsbeginn auf dem Gedarmenmarkt insgesamt 16 Cargobikes für die urbane Logistik: von flinken einspurigen Kurierrädern teils mit großen Anhängern bis zu dreirädrigen Schwertransportern. Mit dabei waren die Berliner Cargobike-Pioniere von messenger, Velogista, Fahrwerk-Kurierkollektiv und Cosmo Kurier. Aber auch Cargobikes, die für die Branchengrößen Amazon, DB-Schenker, DHL-Express, GO! und UPS unterwegs sind. Eine in Deutschland bisher wohl einmalige CycleLogistics-Leistungsschau.
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So mancher Anzugträger aus Politik und Wirtschaft drehte vor Veranstaltunsbeginn eine Proberunde. Im Veranstaltungssaal stand hinter dem Podium dann das 17. Cargobike. Der Parlamentarische Staatssekretär im BMVI, Norbert Barthle (CDU) zeigte sich im Grußwort beeindruckt von seiner Probefahrt mit 100 kg auf dem Fahrradanhänger. Hätte er nicht gedacht, dass das so gut ginge! Bei nächster Gelegenheit, Herr Staatssekretär, eine Probefahrt auch mit 250 kg? Probegesessen auf dem Schwertransporter haben Sie ja bereits:
Als erster von drei Hauptredner stellte Michael Münter, Leiter des Referats Koordination und Planung des Stuttgarter Oberbürgermeisters das Stuttgarter Pilotprojekt zu alternativen Zustellkonzepten LogSpaze vor. Er kündigte an, dass noch im Oktober ein erstes Projekt mit UPS in der Stuttgarter Innenstadt starten werde. Im Rahmen von LogSpaze habe man nach langer Suche zwei 33m² große Flächen indentifiziert, die von UPS morgens mit einem Sattelschlepper angefahren werden können, um eine Wechselbrücke abzustellen. Von dort soll per Sackkarre die Feinverteilung der Sendungen erfolgen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist geplant, dass (wie im beispielgebenden Hamburger Projekt von UPS) auch Cargobikes zum Einsatz kommen. Bisher gibt es allerdings ein ordnungerechtliches Probleme was die Durchfahrt bzw. Querung der Fußgängerzone mit Cargobikes betrifft. Drei oder vier der fünf UPS-Zustellfahrzeugen in der Stuttgarter Innenstadt sollen durch das Projekt ersetzt werden.
Ein Projekt mit einem zweiten Unternehmen werde ebenfalls noch im Oktober starten. Mit zwei weiteren Unternehmen gäbe es im Rahmen von LogSpace konkrete Planungen. Bedingung für das Zustandekommen der Modellprojekte sei eine ämterübergreifende Koordination auf Seiten der Kommune und ein langer Atem bei der Suche nach geeigneten Stellflächen. Auch wenn die Stellplätze im Rahmen von LogSpace von Einzelunternehmen genutzt werden: Die Kommune strebe als Resultat der Modellprojekte natürlich einen unternehmensübergreifenden Nutzen an. Zukünftig müsse die Schaffung ausreichend geeigneter Stellflächen für solche Mikrodepots bereits in der Stadtplanung berücksichtigt werden.
Das beispielgebende Modellprojekt von UPS und Hamburger Senat stellte UPS Public Affairs Manager Lars Purkarthofer vor. Über das Projekt habe ich bereits hier berichtet und mache es deswegen kurz: Durch die Kombination von vier Standorten für Wechselbrücken mit Feinverteilung per Sackkarre und Cargobikes konnten acht von neun der üblichen UPS-Zustellfahrzeuge in der Hamburger Innenstadt dauerhaft ersetzt werden. Das Projekt rechnet sich für UPS finanziell und erhält eine sehr große (internationale) Aufmerksamkeit. Ein kleineres Folgeprojekt läuft bereits in Offenbach. Oldenburg und Dublin sollen folgen. In NRW sei man gemeinsam mit Landesverkehrsminister Groschek mit insgesamt zwöft Städten im Gespräch.
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Einen sehr lokalen Ansatz verfolgt das Wiesbadener Kiezkaufhaus, das von Nanna Beyer vorgestellt wurde. Das Kiezkaufhaus bietet Einzelhändlern einen gemeinsamen Online Shop mit Same Day Delivery per eCargobike. Damit soll sollen die kleinen Einzelhändler in der Innenstadt gegen die großen überregionalen Online-Händler gestärkt werden und auch die entsprechenden Steuereinnahmen in der Stadt bleiben. Noch ist der tägliche Umsatz überschaubar, das mediale Interesse ist aber groß und auch den Deutschen Fahrradpreis 2016 in der Kategorie Service hat das Kiezkaufhaus bereits erhalten. Wie die Zustellung per eCargobike beim Kiezkaufhaus genau funktioniert habe ich nach einem Besuch in Wiesbaden hier dokumentiert, ein ausführliches Video des Hessischen Rundfunk gibt es hier.
Was in der Diskussion leider nicht weiterverfolgt wurde: Der lokal-nachhaltige Grundansatz des kleinen Kiezkaufhaus („lokal liefern lassen“) fordert das Geschäftsmodell der großen Kurierunternehmen heraus, die den Boom des überregionalen Online-Handles überhaupt erst ermöglichen und gut an ihm verdienen. Einen ähnlichen Ansatz zur Stärkung des lokalen Einzelhandels verfolgt das schnell expandierende Tübinger Unternehmen VeloCarrier. Es bietet seinen Same Day Delivery Service mit eCargobikes inzwischen auch in Stuttgart und vier weiteren Städten an. Leider fehlte diese Perspektive auf der abschließenden Podiumsdiskussion. Neben Michael Münter und Lars Purkarthofer saßen auf dem Podium Marten Bosselmann für den Bundesverband Paket & Expresslogistik und die Bundestagsabgeordneten Kirsten Lühmann (SPD) und Gero Storjohann (CDU), beide Mitglieder des Verkehrsausschuss des Bundestages.
Bemerkenswert an der Diskussion war die breite Skepsis bzw. Ablehnung politischer Regulierung, um urbane Logistik nachhaltiger zu gestalten. Bei den beiden Wirtschaftsvertretern verwundert eine Ablehnung von regulativen Maßnahmen wie der Blauen Plakette (die zumindest von Michael Münter verteidigt wurde) natürlich nicht. Doch SPD Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann sprach engagiert von „der Verkehrswende, die wir brauchen“. Doch nur um politischer Regulierung um so vehementer eine Absage zu erteilen – mit Ausnahme einer Helmpflicht für Fahrradfahrer, die angesichts der Fahrweise von Fahrradkurieren möglicherweise angebracht sei. Doch Kirsten Lühmann stellte auch die interessanteste Idee des Abends für eine konkrete bundespolitische Initiative in den Raum: Sollte es äquivalent zum geplanten Carsharing-Gesetz nicht auch ein Gesetz geben, dass die Ausweisung von Mikrodeport-Flächen für nachhaltige Zustellkonzepte erleichtert? Auf der BMVI-Seite heißt es zum geplanten Carsharing-Gesetz:
Das Gesetz schafft die Grundlage, um im Wege einer anschließenden Verordnung den Straßenverkehrsbehörden vor Ort die Möglichkeit einzuräumen, separate Parkflächen für Carsharingfahrzeuge ausweisen zu können.
Ersetzt man hier „Carsharingfahrzeuge“ durch „Mikrodepots für nachhaltige Zustellkonzepte“ hätte man allerdings noch ein weiteres Problem, auf das Lars Purkarthofer bei aller berufsbedingten Liebe zu braunen Containern hinwies: Die Möblierung öffentlichen Straßenraums mit Containern als Mikrodepots ist stadtgestalterisch wenig überzeugend. Eine bessere Alternative wären Erdgeschossflächen von Parkhäusern. Aber diese sind wiederum im privaten oder kommunalen Besitz und unterliegen keiner bundespolitischen Regulierung.
Purkarthofer machte schließlich auf noch eine weitere ordnungspolitische Stellschraube aufmerksam: Die Freigabe von Fußgängerzonen für Lieferungen per Cargobike. Privilegien für Lieferverkehr mit Fahrrädern gibt es bereits im italienischen Bozen und im baskischen Vitoria Gasteiz. In Aschaffenburg gibt es ein vielgelobtes funktionierendes Modellprojekt, bei dem Fahrradfahrer als Gäste in der Fußgängerzone erlaubt sind. Das ist sicher nicht in jeder Fußgängerzone zu jeder Tageszeit praktikabel. Aber räumliche und zeitliche Spielräume für langsamen (!) Lieferverkehr mit Cargobikes dürfte es in vielen Fußgängerzonen geben.
Zum Anschluss brachte Moderatorin Elke Frauns die Kaufprämie auch für gewerbliche eCargobikes in München ins Spiel. Von April bis September wurden hier bereits 86 eCargobikes mit 25% des Kaufpreises gefördert. Einzig Michael Münter von der Stadt Stuttgart fand die Idee interessant. Lars Purkarthofer sah im ordnungserchtlichen Bereich zumindest für großes Unternehmen die relevanteren Anreize. Die beiden Bundestagsabgeordneten lehnten eine Kaufprämie für Cargobikes ab. Schade, dass an dieser Stelle nicht auch der im Publikum sitzende grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel mit auf dem Podium war. Seine Fraktion hatte gerade am Vortag ein Positionspapier zur Radverkehrspolitik beschlossen, in dem eine Kaufprämie für Cargobikes gefordert wird.
Schließlich hätte ein wenig mehr fahrzeugbezogene Expertise dem Podium gut getan. Denn die besten Logistikkonzepte und die besten Förderprojekte verpuffen wenn es nicht die richtigen Cargobikes und einen kompetenten Service für sie gibt. Das gilt natürlich auch umgekehrt und das hat der Abend eindrücklich gezeigt: Ohne gute Logistikkonzepte und engagierte Kommunen werden auch die besten Cargobikes in absehbarer Zeit nicht den großen Durchruch in der urbanen Logistik schaffen. Der wäre aber ein wichtiger Beitrag des Wirtschaftsverkehrs zu Klimaschutz und lebenswerteren Städten.
Unter dem Strich war der Parlamentarische Abend ein ganz wichtiger Schritt, um urbane Logistik mit Cargobikes als Thema im politischen Berlin zu verankern. Die Themenwahl der Fahrradakademie hat sich mit einem sehr gut gefüllten Saal und prominenten Gästen bezahlt gemacht. Jetzt heißt es für alle Beteiligten: Dranbleiben, damit auch konkrete politische Initiativen folgen!
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